Die Brandung der Fee Cliona

Wellenschlag in der europäischen Erzählkultur
Brandung in der europäischen Erzählkultur

Die Brandung, die Wasserwelle, als Fee, hier als Fairy in Irland, in Glendore im Bezirk Cork. Sie heißt Cliona, sie bäumt sich riesig auf und lärmt laut, nicht nur im stürmischen Wetter, sondern auch bei ruhiger See. Sie zeigt den beginnenden Nordwestwind an und ist die Ursache so manches Todes.

 

König Turlough und Königin Sive hatten ihren Palast in der Nähe von Glendore im Bezirk Cork. Sie hatten lange keine Kinder. Endlich wurde ihnen die wunderschöne Ethna geboren, und sie war die Freude und der Stolz ihres Herzens. Sie wurde von einer treuen Magd beaufsichtigt.

 

Eines Tages befanden sich König Turlough und Königin Sive am Meer. Das Wasser war ruhig, die Luft mild und die Erde grün, wie es Irland zukam. Doch plötzlich wallte die Brandung der Fee Fiona auf. König Turlough und Königin Sive nahmen das als Warnung, dass etwas Schreckliches geschehen würde.

Als sie zurück zum Schloss kamen, war Ethna verschwunden. Sie suchten sie überall, konnten sie aber nirgends finden. Es war für sie, als ob sie tot war, und die Freude hatte das Schloss für viele Jahre verlassen.

Köig Turlough und Königin Sive regierten ihr Land weise, aber die Trauer verschwand nie.

Eines Tages wurde eine sterbende Frau mit einem Baby am Strand gefunden. Es war die Frau eines Häuptlings, dessen Land überfallen und der ermordet worden war. Köig Turlough und Königin Sive nahmen sich des Babys an. Sie nannten ihn Donal.

 

Donal wuchs heran, und er war so gut wie er schön war. Er liebte es, Meilen und Meilen mit einem kleinen Boot auf dem Meer zu fahren. Er nahm Proviant mit sich. Eines Tages kam er zu einer Insel. Der Himmel leuchtete blau auf das Meer. Die Insel war so schön und so farbenfroh mit allerlei Blumen, Kräutern und Pflanzen bewachsen, dass es aussah als wäre sie mit Smaragden und Rubinen bedeckt. Zwischen all der Pracht standen Eber-Eschen; diese reihten sich rund um die Küste. Von den Bäumen kam der Laut von Stimmen. Erst dachte Donal, es wären menschliche Stimmen. Als er seinen Blick erhob und genauer hinsah, bemerkte er, dass es Vögel waren. Die Vögel sprachen unter einander über Ethna und dass sie von der Koboldin Cliona gefangen gehalten wurde. Donal beschloss, Ethna zu befreien. Ein alter, faltiger Mann in einem verbrauchtem Boot näherte sich vom Meer und bot Donal seine Hilfe an. Er teilte Donal mit, dass die Koboldin Cliona sich in jedes Tier verwandeln kann. Sie könne sich in ein Reh, einen Hund oder einen Hasen verwandeln, aber ihre grünen Augen blieben immer diesselben. Wenn er sie mit einen Hagedornzweig berühre, würde sie ihre Zauberkräfte verlieren.

Wenn er in die Nähe der Gefielde der Fee Cliona komme, dürfe er nichts essen und nichts trinken, um nicht selbst verzaubert zu werden. 

 

Donal ging heim, und da die Nacht warm war, ging er nicht ins Schloss zurück, sondern übernachtete im Sommerhaus. In der Früh schnitt er sich einen Hagedornzweig; auf dem Hagedornbaum ganz oben saß die Taube, die ihn geleiten sollte.

 

Unterwegs wurde er sehr hungrig, als er einer Frau begegnete, die ihm Obst, Brot und Käse, dazu gutes Bier, aus einem Korb anbot. Er erinnerte sich, dass er nicht essen, trinken oder sprechen sollte, schüttelte den Kopf und ging weiter.

Als er sich umdrehte, war die Frau verschwunden, als ob sie nie da gewesen wäre. Er sah sie nicht, obwohl die Straße ganz gerade war.

Er folgte der Taube viele Meilen, dann sah er die Frau wieder, die ihm Essen und Getränk angeboten hatte.

"Wenn du mit Prinzessin Ethna zurück kommst, wird euch ein gutes Mahl erwarten", sagte die Frau. "Jetzt schlaf, bis du die Eule rufen hörst."

Am nächsten Tag gab sie ihm ein Horn: "Folge der Eule !" sagte sie. "Wenn du die Feste der Cliona erreicht haben wirst, blase in das Horn. Dann wird die Koboldin Cliona kommen."

Die Eule flitzte von Baum zu Baum, und Donal ging ihr nach.

 

Bei der Festung der Cliona blies er in sein Horn, einmal, zweimal, dreimal. Und vom Felsen herunter schritt Cliona. Sie war wunderschon, schlank, weiß glänzend mit leuchtenden grünen Augen. Er versuchte, sie mit seinem magischen Stab zu berühren, aber sie verwandelte sich in einen Hasen und rannte herum und herum. Es wurde stockdunkel.

 

Da fühlte er die Eule auf seiner Schulter, die ihm ins Ohr flüsterte: "Ich werde dir sagen, wenn der Hase dorthin kommt, wo du stehst. Du musst sie dann ganz schnell mit deinem magischen Stab berühren."

Die Eule hatte nämlich einen  Gesichtsschleier, der den Schall des Hoppelns in die Richtung ihrer Ohren lenkte.

"Jetzt!" rief die Eule nach einigen Sekunden. Man hörte einen durchdringenden Schrei, die Dunkelheit hob sich langsam hinweg, und die Koboldin Cliona stand da in ihrer Schönheit, weinend und ihre Hände ringend.

"Lass Prinzessin Ethna kommen!" sagte Donal.

"Komm, Ethna, komm!", rief Cliona, sie selbst aber verschwand in der Festung.

Aus den umher liegenden Felsbrocken schritt Etha hervor. Sie sah überrascht und glücklich aus.

 

"Oh!", rief sie, "Was für wundervolle Welt! Aber wo sind die mich liebenden Menschen, die ich in meinen Träumen gesehen habe?"

"Komm mit mir!" lockte Donal, "Und ihre Freude wird größer sein als deine, wenn ihr alle vereint seid."

 

Die Eule führte sie zurück zu dem kleinen Haus, wo die Frau ihnen ein warmes Willkommen gab.

Als sie auf die Reise nach zu Hause aufbrachen, sagte die alte Frau: "Wenn ihr daheim seid, wird es bald eine Hochzeit geben."

 

König Turlough und Königin Sive weinten vor Freude, als sie ihre Tochter wieder sahen. Alle im Palast teilten ihre Freude. Und die Worte der alten Frau wurden wahr: Donal und Ethna heirateten und lebten glücklich bis zu ihrem Tod.

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Die geographischen und persönlichen Namen rücken die irischen Märchen in die Nähe von Sagen. Damit ragen sie aus der europäischen Erzählkultur heraus.

Die treue Magd kommt in der Europäischen Erzählkultur oft vor. Als Beispiel diene die Amme in "Romeo und Julia" von Shakespeare. Sowohl Shakespeare`s Amme als auch Ethna`s Babysitterin werden charakterlich als etwas oberflächlich geschildert. Shakespeare´s Amme verlor ihre Jungfernschaft im 12. Jahr, Ethna´s Babsitterin bandelte mit dem Gärtner Fergus.

Bezeichnend für irische Märchen ist die wunderschöne Landschaftsbeschreibung, eine Landschaft, in der Ethna aufwachsen wird. Der Hawthorn-Baum ist archetypisch magisch: Man denke an an den berühmten Hawthornbaum in Glastonbury or Holy Thorn

des Joseph of Arimathea

oder an den Baum neben der Kirche von the church at Saint Mars sur la Futaie, Mayenne.

Ein weiteres Beispiel ist der Hethel Old Thorn neben dem Friedhof in dem kleinen Dorf Hethel, im Süden von Norwich, in Norfolk.

 

Die Warnung vor dem Tod oder vor einem schrecklichen Schicksal durch außerirdische Mächte wird in der Europäischen Erzählkultur öfters dargestellt. Man denke nur an "Der Schimmelreiter" von Storm.

 

Auch das verschwundene Kind ist öfters Thema der Europäischen Erzählkultur. Als Beispiel möge König Arthur dienen, den Merlin seinem Stiefvater Uther Pendragon und seiner Mutter Igraine für Jahre entführte.

Pflegeelternschaft kommt in der Europäischen Erzählkultur eher nicht vor. Das ist eine typisch irische Sache. Allerdings scheint der Archetyp der verwitweten sterbenden Mutter, die unbekannten Menschen ihr Kind hinterlässt, fest in uns verankert zu sein. Das Baby Tristan in dem mittelhochdeutschen Epos "Tristan und Isolde" wird von der sterbenden Mutter Blanscheflur dem Freud ihres toten Mannes übergeben. Sogar ein modernes Märchen bedient sich dieses Archetyps:

 

Weber, Jessica H.: Familienbande DiewahrscheinlichsteGeschichtedesersten`Drachentöters´Eine heitere  GeschichtefürJung & Alt

 

In dem Jahr, in dem auch die Königskinder geboren wurden, da stolperte mitten im dicksten Schneegestöber eine hochschwangere Frau auf den Hof. Sie war im finsteren Wald überfallen worden und sah schrecklich aus. Der Bauer brachte sie sofort in die warme Stube. Und bald schon wurde Fritz geboren. Aber seine Mutter war sehr geschwächt und hatte viel Blut verloren und starb wenig später. Sie hatte zwar noch kurz mit Oma Hanni sprechen können, aber diese weigerte sich fortan, etwas über die Identität der Mutter oder des Knaben zu berichten. Sie behauptete immer nur, dass es ihr letzter Wunsch war, dass der Junge auf dem Hof bleiben könnte und er Fritz heißen sollte.

 

 

Die detaillierte Darstellung von Donals Vorlieben ist Kennzeichen der irischen Sage, nicht der Europäischen Erzählkultur.

In der Europäischen Erzählkultur vorkommende sprechende Vögel habe ich in "Deutung von Märchen" auf dieser Jimdo-Seite erwähnt. In einigen Grimm Märchen und im Nibelungen Sagenkreis in der Europäischen Erzählkultur erfahren die Helden von sprechenden Vögeln, was ihnen zu wissen not tut. Den Archetyp des Mentors, hier in Gestalt des alten Mannes, in Grimm Märchen etwa durch einen Fuchs in "Der goldene Vogel" oder durch einen Zwerg wie in "Das blaiue Licht" oder "Das Wasser des Lebens", habe ich auch auf

http://www52.jimdo.com/app/se742903cc62edafa/p557855afdad71b37?safemode=0&cmsEdit=1

dargestellt.

In der Europäischen Erzählkultur finden sich Menschen, die sich in Tiere verwandeln können, etwa in dem Grimm-Märchen "Der gestiefelte Kater".

Das Berühren mit einem magischen Zweig hebt Zauberkräfte auf. Das kommt in der europäischen Erzählkultur öfter vor. Als Beispiel möge "Jorinde und Joringel" der Gebrüder Grimm dienen.

Auch die Gefahr, dass Essen, Trinken und Sprechen im magischen Bereich Gefahr bringt, wird in der euroäischen Erzählkultur artikuliert. Orpheus darf beispielsweise in der Unterwelt nicht sprechen.

 

Die detaillierte Schilderung, wie Donal heimkehrt und im Sommerhaus übernachtet, ist wiederum tyisch irisch. In der europäischen Erzählkultur wird mehr zusammen gefasst beziehungsweise der Akteur kehrt gar nicht heim, sondern macht sich gleich auf den Weg.

 

Zur Europäischen Erzählkultur: In manchen Regionen hieß es, dass der Schrei einer Eule den Tod bedeutete, in anderen Teilen wieder war das Gegenteil der Fall. Hier kündigte der Eulenschrei eine nahende Geburt an.

Europäische Erzählkultur: Rubine und Smaragde
Europäische Erzählkultur: Rubine und Smaragde

Quellen

Sinéad de Valera: "Cliona´s Wave" In: "Irish Fairy Tales" London 1973 Seite 99

 

 

http://en.wikipedia.org/wiki/Common_hawthorn

27.6.14

 http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Schimmelreiter

3.7.14

http://de.wikipedia.org/wiki/Artus

040714

http://de.wikipedia.org/wiki/Igraine
040714

http://de.wikipedia.org/wiki/Gorlois

040714

http://de.wikipedia.org/wiki/Uther_Pendragon

040714

http://www52.jimdo.com/app/se742903cc62edafa/p557855afdad71b37?safemode=0&cmsEdit=1

190714

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Tristan_und_Isolde

020914

Weber, Jessica H.: Familienbande DiewahrscheinlichsteGeschichtedesersten`Drachentöters´Eine heitere  GeschichtefürJung & Alt  Amazon

 

http://kiwithek.kidsweb.at/index.php/Eule#top  10.9.14