Agnes Miegel: Schöne Agnete

 

Als Herrn Ulrichs Wittib in der Kirche gekniet,
da klang vom Kirchhof herüber ein Lied.
Die Orgel droben, die hörte auf zu gehn,
die Priester und die Knaben, alle blieben stehn,
es horchte die Gemeinde, Greis, Kind und Braut,
die Stimme draußen sang wie die Nachtigall so laut:

„Liebste Mutter in der Kirche, wo des Mesners Glöcklein klingt,
liebe Mutter, hör, wie draußen deine Tochter singt!
Denn ich kann ja nicht zu dir in die Kirche hinein,
denn ich kann ja nicht mehr knieen vor Mariens Schrein,
denn ich hab ja verloren die ewige Seligkeit,
denn ich hab ja den schlammschwarzen Wassermann gefreit.

Meine Kinder spielen mit den Fischen im See,
meine Kinder haben Flossen zwischen Finger und Zeh.
Keine Sonne trocknet ihrer Perlenkleidchen Saum,
meiner Kinder Augen schließt nicht Tod noch Traum - -

Liebste Mutter, ach ich bitte dich,
liebste Mutter, ach ich bitte dich flehentlich,
wolle beten mit deinem Ingesind
für meine grünhaarigen Nixenkind,
wolle beten zu den Heiligen und zu Unsrer Lieben Frau
vor jeder Kirche und vor jedem Kreuz in Feld und Au!
Liebste Mutter, ach ich bitte dich sehr,
alle sieben Jahre einmal darf ich Arme nur hierher.
Sage du dem Priester nun,
er soll weit auf die Kirchentüre tun,
daß ich sehen kann der Kerzen Glanz,
daß ich sehen kann die güldne Monstranz,
daß ich sagen kann meinen Kinderlein,
wie so sonnengolden strahlt des Kelches Schein!“

Die Stimme schwieg. Da hub die Orgel an,
da ward die Türe weit aufgetan, -
und das ganze heilige Hochamt lang