Der Spielmann, der Ring und die Krone

 

 

 

Es war einmal ein Spielmann, der zog mit seiner Leier durch die Dörfer und vergnügte die Leute mit Musik und Tanz. Eines Tages kam er an den Hof des Königs, dem er seine Lieder vortragen wollte, um reich zu werden. Er wurde jedoch von Wachen am Tor nicht durchgelassen, denn sie sagten: „Einen zerlumpten Gauner wie dich will der König nicht sehen!“
Der Spielmann war gekränkt und wütend und schwor den Wachen: „Der König wird mich noch anflehen, vor ihn zu treten, und er wird mich reich belohnen! Ihr werdet schon sehen!“

Die Wachen lachten nur, doch der Spielmann war gerissen und hatte schon einen Plan. Er ging zurück in eines der Dörfer, in dem er bei seiner Reise einen Schneider gesehen hatte, von dem er gehört hatte, er sei ein spielfreudiger Mann.
Er trat in das Haus des Schneiders ein und sagte ihm: „Lass uns eine Wette eingehen. Wenn du gewinnst, gehören meine Dienste dir, wenn du verlierst, schuldest du mir dein edelstes Gewand.“

Der Schneider, der solcherlei Spiele liebte, fragte: „Wie soll die Wette heißen?“

Der Spielmann antwortete: „Jeder von uns soll einen Beutel verschnüren, in dem drei schwere Steine liegen. Ein Esel soll danach versuchen, das Zugband zu zerreißen. Derjenige, bei dem er dies als erstes schafft, verliert.“
Der Schneider war sich wegen seines Handwerks vollkommen sicher, dass er eine solche Wette gewinnen würde, und schlug ein. Er nähte einen Beutel, dem er heimlich einen doppelten Zugriemen einschnürte, damit er auch ja der Sieger sei. Als er hinauskam, hatte der Spielmann schon den Esel geholt, und der biss in den Riemen des Schneiders und zog und zerrte, bis er ihn zerrissen hatte. Doch es hatte sehr lange gedauert, und keiner der Umstehenden, geschweige denn der Schneider, zweifelte daran, dass der Riemen des Spielmanns weniger lange standhalten würde.
Der Spielmann jedoch hakte eine Saite seiner Leier aus, die aus Metall gefertigt war und viel stabiler als das Lederband des Schneiders. Der Esel mühte sich die ganze Nacht lang ab, doch am Morgen war die Saite noch immer nicht gerissen, und der Schneider musste sich, wütend über den Trick des Spielmannes, geschlagen geben.
„Nun zu meinem Gewand“, sagte der Spielmann frohlockend und suchte sich unter all den Gewändern des Schneiders das schönste aus.
So gekleidet und gar nicht mehr wie ein Gauner aussehend, ging er ins nächste Dorf, in dem er von einem begabten Goldschmied gehört hatte. Unterwegs kam er an einem ganzen Feld voller Sonnenblumen vorbei, von denen er einige pflückte und die Blätter auf seiner Leier rieb, bis sie ganz golden aussah. Dann suchte er den Goldschmied auf und sagte zu ihm: „Lass mich dir ein Geschäft vorschlagen: Du erhältst diese Leier, die aus purem Gold gefertigt ist, wenn du mir im Gegenzug einen Fürstenring schmiedest, der sogar den König beeindrucken wird.“
Der Goldschmied stimmte gleich zu und machte sich an die Arbeit, und noch am Abend desselben Tages nahm der Spielmann seinen Ring entgegen und überreichte im Gegenzug dem Schmied die Leier, die golden glänzte und doch nicht das geringste Gold wert war. Bevor der Schmied dies aber bemerkte, als die Farbe sich löste, war der Spielmann schon über alle Berge und stand erneut vor den Toren des Königshofes.
Die Wachen starrten den Spielmann in seinem neuen Gewand an und verneigten sich ehrfurchtsvoll vor ihm, als er ihnen seinen fürstlichen Ring zeigte. Aus Respekt sagten sie kein Wort, sondern ließen den Spielmann passieren und ihn zum Thronsaal gehen. Die Wachen dort waren ebenfalls beeindruckt von seiner trügerischen Erscheinung und ließen ihn durch.
Der König saß auf seinem Thron und richtete sich auf, als der Spielmann eintrat.
„Seid gegrüßt, Euer Majestät!“, rief er und verbeugte sich tief. „Ich komme aus einem fernen Land als Gesandter meines Königs, um euch ein Geschenk zu bringen. Diesen Zauberring!“

Der König schien neugierig und fragte: „Was kann Euer Ring, mein Freund?“
Der Spielmann antwortete laut, sodass alle im Saal es hörten: „Dieser Ring bietet Euch die Gelegenheit, vor all Euren Untertanen zu beweisen, dass ihr der würdige König seid! Wenn Ihr ihn an Euren Finger steckt und würdig seid, dann wird Eure Krone heiß glühen, sodass ihr es nicht mehr ertragt, sie auf Eurem Kopf zu behalten. Bleibt sie jedoch kalt, so seid Ihr nicht der würdige König! Hier, Euer Majestät!“ Und er reichte dem König den Ring, den ihm der Schmied gefertigt hatte.
Der König zögerte, doch er hatte keine Wahl, denn wenn er sich drückte, würde ihn sein ganzer Hof zum Feigling erklären. So steckte also der König den Ring an und schrie laut und, wie nur der Spielmann wusste, künstlich auf, da er so tun musste, als glühe die Krone auf seinem Kopf. Er riss sie sich vom Haupt und rannte schreiend aus dem Saal, wie um das angesengte Haar in einem Eimer voll Wasser zu kühlen. Jubelnd lief der ganze Hofstaat dem König hinterher, denn sie sahen ihn als würdig, sodass der Spielmann allein im Thronsaal zurückblieb. Lachend nahm er die Krone, die dem Thron zu Füßen lag, tauschte sein edles Gewand wieder gegen sein normales und schlich sich, wie ein Diener gekleidet, aus dem Schloss.
Als der zerlumpt aussehende Mann, der er nun wieder war, kehrte er in die Schmiede des Goldschmieds zurück, bei dem er den Ring gekauft hatte und an dessen Wand die nun wieder fahle, hölzerne Leier hing. Der Goldschmied erkannte ihn nicht und war begeistert, als der Spielmann ihm die Krone des Königs zum Kauf anbot.
„Eintausend Goldstücke sind sicher ein guter Preis“, sagte der Spielmann, „und ich verlange nur neunhundert, wenn du mir die alte Leier da auch noch gibst. Der Goldschmied willigte verwundert ein, und so zog der Spielmann mit seiner Leier, neunhundert Goldstücken und schuldenfrei weiter, um auch dem Schneider das zurückzuzahlen, was er ihm durch seine List abgenommen hatte.
Am Ende war der Spielmann noch immer ein reicher Mann, und er saß Tag um Tag vor seiner eigenen Burg, spielte auf seiner Leier und hielt Ausschau nach Spielmännern mit viel zu guten Kleidern.

 

Quelle: Laurin Hildebrandt :
Der Spielmann, der Ring und die Krone

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